HOLE IN ONE

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HOLE IN ONE am 26.05.2011 um 15:25 Bahn 7

Montag, 18. Mai 2009

Knastmarathon - 2009 Edition

Um 5 klingelt der Wecker und ich denk mir, dass man früher um diese Zeit den finalen Kasten Bier geleert hat und nicht vorhat 42,195 Kilometer zu laufen.
Aber nach einigen Blinzlern in die Dunkelheit hinein, das Grunzen wenn man sich aus dem Bett wälzt, das obligatorische Hintern kratzen, wurde gähnend ins Bad geschlurft. Licht an und ich seh einen Chinesen. Kenn ich nicht, ich kämm dich trotzdem. Achne, ist ja kein Chinese, das bin ja ich, der so kleine Augen hat.
Kurz darauf den Krempel mitsamt Fahrrad ins Auto geworfen, Obst mitgenommen, Brezen aus dem Kühlfach und losgefahren nach Darmstadt und Frühstück am Lenkrad gemacht. Knapp 400 km sind zu fahren. Aber schön, dass die Straßen am Sonntag Morgen so leer sind. Die hängen alle bestimmt noch am finalen Kasten Bier.
Macht nix, gehts schneller.
Nach 250 km war die Autobahn immer noch recht leer, ich drücke auf die Tube und werde durch einen kurzen Blitz belohnt. Naja, 23 km/h zu schnell. Ups.
Irgendwann kam ich am Knast in Darmstadt an. Ökotasche gepackt und nur das nötigste mitgenommen. Dann hieß es vor der Tür anstellen, denn jeder muss natürlich durch einen Metalldetektor und bekommt eine Leibesvisitation. Der Ausweis wird auch eingezogen und es gibt ein hübsches leuchten gelbes Armband. Man muss ja erkennen, wer nur zu Besuch ist.
Dann summt es, ich geh durch die Schleuse und fühl mich sofort wieder wie Zuhause.
Gleich erfasst mich wieder diese tolle Atmosphäre im Knast. Nicht zuletzt lag das auch daran, dass ich mit Klängen von Metallica empfangen wurde. Aus den großen Boxen kam dröhnend 'Master of puppets' Geil. Ich geh zu einem Beamten, der mich einweist und ich sage zu ihm 'Schön, dass ich wieder hier bin, das werden sie nicht so oft hören, gell'? Da meint der Beamte: 'Täuschen sie sich nicht, es kommt echt vor, dass Leute gerne wieder hier einsitzen'
So glei.
Dann hol ich mir meine Startunterlagen. Und was gibts? Ein Laufshirt mit der persönlichen Startnummer und dem Namen drauf. So ein Shirt kostet um die 30 Euro, wenn man sich das selbst machen lassen will. Ich hab übrigens nur 20 € Startgeld bezahlt. Dann ging ich zur Umkleide und bekam den Wäschesack, in dem ich alles rein stopfen muss, was ich nicht benötige. Das wird alles dann weggesperrt und später zurück gegeben.
Nun ging ich zurück und stellte mich zum Versorgungszelt. Berge mit Wurstbroten türmten sich. Ich fragte eine freundliche Dame (Ok, das Wort freundlich werd ich jetzt versuchen zu vermeiden, weil einfach alle freundlich und nett waren, muss nicht immer erwähnt werden) ob sie denn trockene Semmeln für mich hätten, weil ich nämlich Veganer bin. Sie guckt mich an, überlegt kurz und saust dann los, sie komme gleich wieder. Nach 5 Minuten kommt sie wieder mit einer Tüte Semmeln mit Gurgen und Tomaten. Eiskalt, frisch und lecker. 5x bedankt und noch einen Kaffee dazu getrunken.
Ich traf mich noch mit ein paar Internetbekanntschaften und beobachtete das anwesende ZDF bei den Interviews, die sie von den Knackis einholten. Nicht mehr lange und es kommt zum Start.
Die mitlaufenden Knastinsassen, es waren so 30 Leute dabei, waren völlig aufgedreht. Für die Knackis war das ganze ein irres Erlebnis. Nach 6 Monaten intensiven Marathontraining, immer an der Knastmauer entlang war es endlich soweit, dass sie ihren ersten Marathon überhaupt laufen. Bewundert wurden sie von den zuschauenden Mitknackis.
Um punkt 10 Uhr war der Start. Es wurde von allen die Sekunden runter gezählt und dann wurden wir zu unserem Rennen losgelassen. Unter lautem Jubel der Zuschauer und den Mitläufern wurde unter den Klängen von AC DC losgelaufen. War es Highway to hell? Weiß ich jetzt gar nicht mehr.
Dass der Knast nicht so einfach 42 km hergibt, erklärt sich von selbst. Daher wurde die Strecke wieder kreuz und quer durch den Knast gelegt, mit 180° Kehre etc. und dann kamen wir nach wenigen 100 Metern an den schweren Brüdern vorbei, die hinter extra Draht standen und allen Läufern zujubelten. Ich bekam in Berlin nicht eine Sekunde Gänsehaut, München hat mich nicht gejuckt, aber das hier, das ging mir sehr nahe und ich hatte so richtig Putenpelle von dem Jubel. Das war einfach nur schön zu sehen, wie die Knackis auf beiden Seiten so völlig begeistert waren. Gegenseitig wurde sich zugerufen und wild gewunken. Und ich wusste wieder, warum ich unbedingt wieder hier sein wollte.
Nachdem hier 24 Runden gelaufen werden müssen, ist es eine völlig einfache Rechnung. Pro Runde genau 10 Minuten und du kommst mit 4 Stunden ins Ziel. Einfacher gehts nicht.
Kurz vor Ende der ersten Runde kamen unsere Zuschauer aus den Gebäuden und stellten sich wie letztes Jahr neben die Strecke. Klatschten und riefen allen Läufern zu. Mich haben sie auch schnell ausgemacht und ich hörte 'Auf gehts Karl-Heinz, auf gehts'. Nach einigen 100 Metern kam man wieder an den gleichen Leuten vorbei und einer rief 'Karl-Heinz' kommt wieder. Schnell stimmten die andern mit ein und riefen KARL-HEINZ, KARL-HEINZ, KARL-HEINZ. Winkend lief ich durch das Spalier. Das wiederholte sich so für etwa 4 Runden. Danach wurden alle ein bisschen ruhiger.
Ich lief schon eine ganze Weile hinter zwei türkischen Knackis hinterher. Einer bemerkte mich irgendwann und meinte: 'Hallo Kollega, wie gehts?'
Ich fragte ob sie sich denn was vorgenommen haben. Nö, nix vorgenommen, aber 4 Stunden wär super Kollega.
Ich sagte ihm, wenn sie immer bei mir wären, dann könnte es klappen damit.
Kein Problem, Kollega.
Nach 4 Runden musste ich aber mal pinkeln gehn aber ich hatte ja meine Kollega als Anhaltspunkt, so konnte ich nach knapp 2 Runden wieder aufschließen.
Hej Kollega, bisch wieder da? Und klopfte mir auf die Schulter. Wir liefen noch eine ganze Zeit lang zusammen, aber dann wurden die Beiden doch langsamer und ich musste sie zurück lassen.
Es wurde heute sehr heiß und nach einer Stunde dachte ich wehmütig an die Sonnenmilch, die Zuhause auf dem Schrank stand. Na das konnte ja lustig werden. Ich werd mir soooo die Nase verbrennen. Aber ich kanns vorwegnehmen. Ich spür zwar einen leichten Sonnenbrand, ist aber doch meist Sonnenbräune. Puh.
Das Schöne an dem Lauf war auch, dass man sich ständig begegnet. Irgendwann kann man jedes Gesicht zuordnen. Man kennt jeden Knacki der mitläuft, zu erkennen an dem fehlenden Armband und die noch frohgemuten Gesichter nach einer Stunde.
Es wurde wärmer und wärmer. Aber ich wär ja nicht im Knast, wenn auch hier alles dafür getan würde, dass es uns gut geht und die Wärme erträglicher wird. Aus der Küche wurden so 30 Eimer hergeschafft, im Knast strategisch verteilt und mit Wasser befüllt. Mir gruselts eigentlich immer ein bisschen vor Eimern, wo jeder seine Mütze eintaucht oder gleich das ganze Gesicht. Aber die Eimer wurden permanent neu befüllt, es gab immer frisches Wasser und ich nahm dankbar bei vielen Eimern die Erfrischung an. Später wurde einfach ein Schlauch ausgelegt mit einem Helfer, der jeden Läufer einfach abbrauste, der das auch wünschte. Ich wünschte und war von da an immer pitschepatschenass und tropfte vor mich hin. Super.
Runde für Runde spulte ich ab. Die Knackis hinter dem Extrazaun wurden nach 1 1/2 Stunden wieder in die Zellen geschickt, die 'freien' Knackizuschauer wurden auch zurück gebracht und durch neue Zuschauer ersetzt. Und mit den neuen Zuschauern kam auch der Jubel wieder auf die Strecke.
Wenn der Sprecher mal die Klappe gehalten hat, dann konnte man den andächtigen Klängen von AC/DC, Metallica mit St. Anger (Sehr passend im Knast wie ich finde, weil das Video dazu auch im Knast gedreht wurde), Deep Purple etc lauschen. Ab und zu spielte ich ein bisschen Luftgitarre mit beim Laufen und man sah überall mitwippende Zuschauer.
Der Sprecher hat eher genervt und glänzende durch dämliche Ansagen.
Ein paar Beispiele:
Der Sieger lief in einer Kompressionshose, meinte der Sprecher, ja ganz toll und vielleicht läuft dann nächstes Jahr der erste Läufer im Ganzkörperkompressionsanzug, dann schauen wir alle so aus wie Schwimmer.
Oder dann lamentierte er Minutenlang über kaputte Kniegelenke:
Das Problem ALLER Läufer ist irgendwann, dass sie kaputte Kniegelenke bekommen werden. Der eine früher, der andere später, aber das ist unausweichlich. Schon viel mussten ihre Laufkarriere aufgeben, weil die Kniegelenke versagt haben. Aber so ein Opfer nehmen die Läufer gerne auf sich
Einen hätt ich noch:
Wenn man Kenianer so beim Laufen zusieht, dann sieht das immer so locker leich und schwebend aus. Das ist hier bei unseren Läufern natürlich nicht der Fall. Da sieht alles um einiges schwerfälliger aus. Aber das ist ja klar, wenn man nicht so viel trainieren kann wie die Afrikaner.
Nach 18 Runden wurde es doch etwas zäh. Was zum Teil an der Wärme lag, als auch am Beton. Das geht ganz schön auf die Knochen. Und die engen Kurven und Spitzkehren sind auch mit der Zeit ziemlich anstrengend. Viele Mitläufer mussten immer wieder Gehpausen einlegen. Stellenweise hab ich gar keinen mehr laufen sehen. Ich dachte auch über Gehpausen nach, stellte mir aber die Frage, warum eigentlich? Ich horchte in mich rein und hatte echt keinen Grund Gehpausen zu machen, mir gings doch gut. So lief ich einfach jede Runde in meiner Vorgabe und hab bis auf die Pinkelpause nicht einen Gehmeter gemacht. Das wollte ich auch bis zum Schluß so halten. Ab und zu überholte ich einen meiner zwei Kollega von früheren Runden. Einer fiel später immer wieder in den Gehschritt, mit den Händen in die Hüfte gestemmt und auf den Boden starrend. Ich klopfte ihm auf die Schulte und sagte ihm, auf gehts Kollega, heute Abend bist du ein Held. Er strahlte mich kurz an, winkte aber auch gleichzeitig ab.
Die Runden die zu laufen waren, wurden immer weniger. Der Sieger war mittlerweile mit 2:52 Stunden im Ziel. Da hatte ich noch 6 Runden vor mir.
Was immer sehr schwer zu laufen war, war am Ende des Knastgeländes. Davon hab ich auch letztes Jahr schon geschrieben. Du läufst auf eine 7 Meter hohe Betonwand zu, kein Mensch steht da, bis auf einem Aufseher auf einem gemütlichen Stuhl. Die Sonne grillt dir den Kopf, kein Lüftchen regt sich. Das ist hart. Dann hinten an dem Gebäude vorbei und weiter an der Wand entlang zurück. Ich musste mir immer sagen, dass es mir körperlich prima ging, aber die Psyche spielt da einem ganz schöne Streiche. Und hier war auch immer die Stelle, wo die wenigsten nach 20 Runden noch liefen.
Die letzten zwei Runden wurden für mich relativ zäh, aber das waren ja nur noch 3,5 km, da stellte ich mir vor, wie kurz das doch ist auf meinen täglichen Laufstrecken. Also lief ich weiter wie ein Uhrwerk meinen Stiefel runter und schaffte das gesteckte 4 Stundenziel in 3:59:23 Stunden. Erstmal die Arme zum Jubel gehoben, dann von einem Aufseher darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich erst 22 Runden gelaufen bin. Ich guckte ihn mit großen Augen an. Das kann nicht sein, hab ich alles auf der Uhr. Das war ein Messfehler. Ich bekam eine schöne Medaille um den Hals gehängt und machte mich auf den Weg zur Versorgung.
Ich wurde sofort wieder von der Dame erkannt und sie fragte mich, ob sie nochmal in der Küche verschwinden soll. Ja, das fände ich sehr nett und schon ist sie losgelaufen um mir noch mehr Gemüse zu bringen. Was für ein Service.
Ich setzte mich auf eine Bank und was sah ich neben mir? Eine Probepackung mit Sonnenmilch. Ich starrte das Päckchen an und musste über die Ironie lachen. Aber ich hab sie trotzdem noch benutzt.
Dann mit einem Laufkollegen gesprochen über den erlebten Marathon. Gegenüber war ein Massagezelt. Hm, mal hingucken. Es waren 5 Masseusen und nur 4 hatten was zu tun. Also legte ich mich direkt auf die Pritsche und bekam eine wunderbare viertelstündige Massage verpasst. Hui, das tat gut.
Dann noch ein paar Karamalz getrunken und die restlichen Läufer beobachtet und geholfen beim Aufmuntern.
Ich hab überlegt, ob ich nicht noch zur Preisverteilung da bleibe, aber das dauerte mir doch zu lange. Nachdem ich auf die Anzeigetafel geguckt hab und sah, dass die letzte Läuferin nach 5:30 Stunden noch 3 Runden zu laufen hatte. So beschloß ich wieder zu gehen. Ich ging auf das mächtige Tor zu, drehte mich nochmal um und verließ wieder voller Wehmut das Gefängnis.
Nachdem ich meinen Ausweis wieder bekommen habe, fiel hinter mir die Tür scheppernd zu. Ich war wieder draussen. Ein sehr komisches Gefühl. Kein Gefühl von Freiheit. Ich fühlte mich so gut aufgehoben im Gefängnis und bei dieser großen Knastfamilie.
Dass die allgemeine Stimmung dort im Gefängnis immer gut ist, erkennt man auch daran, dass die Aufseher und Insassen so ein gutes Verhältnis zueinandern haben. Die Wärter reden sehr freundlich mit ihren Schützlingen, die Knackis aber auch freundschaftlich mit ihren Aufpassern. Man merkt den gegenseitigen Respekt voreinander. Und so soll es auch sein.
Gerne würde ich nächstes Jahr wieder kommen. Das ist wieder eins der schönsten Lauferlebnisse, die ich jemals hatte.

Abends kam dann in den Heute Nachrichten im ZDF noch ein kurzer Bericht.
Hier noch der Link dazu

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/757298?inPopup=true

Hier noch zu sehen, wie man gelaufen ist

http://www.gmap-pedometer.com/?r=2832976

9 Kommentare:

Hase hat gesagt…

"Ich ging auf das mächtige Tor zu, drehte mich nochmal um und verließ wieder voller Wehmut das Gefängnis."

Herrlich!! :)
Ach Hase, hast du das schön geschrieben. So voller Gefühl. Einfach nur toll. Ich kann das total verstehen, dass du diesen Knastmarathon so gerne magst.
Aber wenn du jetzt auch für immer in den Knast möchtest, dann hätte ich da doch ganz entschieden etwas dagegen ;-)

Charly hat gesagt…

Nene, ganz will ich da net rein. Ist schon ok, wenn man wieder draussen ist. Denn der Alltag wird nicht sonderlich spannend sein dort.
Das ist ja auch ein Ausnahmetag für das Gefängnis

Werner hat gesagt…

Toll geschrieben, kann man richtig mitfühlen, Daumen Hoch mal wieder !

Charly hat gesagt…

Danke :)

Charly hat gesagt…

Puh, ist der Bericht aber lang geworden, fällt mir grad so auf. Danke fürs lesen :o)

Blumenmond hat gesagt…

Ja, ist lang geworden aber total interessant. Und ich hab die Wand wiedererkannt, die war mir vom letzten Knast-Marathon so in Erinnerung geblieben. Schlimm finde ich aber die Tatsache, dass die Zuschauer "ausgetauscht" werden. Das ist genau das, was Freiheit ausmacht oder auch nicht. Nun ja... bin gespannt, ob Du im nächsten Jahr wieder gegen die Wand läufst.

Charly hat gesagt…

Ja, aber die Knackis waren alle super drauf. Die Knackis die in den Gebäuden waren, riefen einfach durch die Gitter durch.
War schon sehr toll dort wieder. Das sind Eindrücke, die kriegt man bei einem Stadtmarathon einfach nicht.

Unknown hat gesagt…

ich kann das alles nachvolziehen,2008 bin ich da auch mitgelaufen,aber als gefangener,.....in der zeit im knast war der tag an dem marathon war,auch mein schöhnster tag im knast,weil an dem tag habe ich mich gefühlt nicht als gefangener,sondern als ein ganz normaler mensch der an einem marathon teilgenommen und erfolgreich beendet hat.....meine zeit war 4 stunden und 2 min.......ist nicht so wichtig das war mein erster marathon .........jetzt drausen treniere ich weiter.......auch wen ich damals im knast gefangener war ,war das trotzdem ein schöhner tag in meinem leben........das werde ich nie vergesen.....

Anonym hat gesagt…

nett war´s....

die Strecke bei g-maps habe ich doch gerne zur Verfügung gestellt ;)

bis auf ein neues
la marató